Wolfgang Henze Bilder und Texte
 

Texte

  • Über die Bewohnbarkeit von Kunst
  • In diesen Zeiten der politischen Schlagzeilen ist es gerade als Künstler angebracht, das Wort zu erheben und Bilder zu beschwören
  • Der Zufall und die Kunst, oder: was einem so zufällt, wenn es um Kunst geht in unseren Lebensbezügen."
  • Blick mir nur einmal in die Augen...
  • Hinter den Bildern
  • Zu: „Erotik, oder: die Kunst des Fleisches“; Eine kleine Geschichte vom Fleisch.
  • Eine Nach-Frage, oder: und da gibt es doch noch die Kunst....

Über die Bewohnbarkeit von Kunst - Randnotizen Februar 2023

Die bemalte Leinwand eines Künstlers wird nicht dadurch bewohnbar gemacht,                                                                                                                                                                                                daß ich sie mit nach Hause nehmen kann, wo ich sie anzündehttps://strato-editor.com/.cm4all/widgetres.php/com.cm4all.wdn.Separatingline/images/thumbnail.svg
und die Kunst als wohlige Wärme auf meiner Haut erlebe.
Abgesehen davon, daß Kunst als Ereignis immer auch unter die Haut
gehen will, ist sie stets für reale Bezüge ein Versprechen, das gebrochen
werden will – von der Kunst selber.
Kunst lebt und überlebt stets in den Leerstellen von Imagination und
Wirklichkeit.
Das Gemälde vom Wasserfall wird nicht realer und der Wasserfall nicht
lebendiger, wenn ich das Bild direkt am Wasserfall aufstelle. Der Abstand
zwischen der Bedeutung und dem Bedeuteten lässt sich nicht überbrücken.
Oder alles implodiert in Bedeutungslosigkeit von Faktizität.
Ich würde die Kunst als Geste – und sei es auch als Geste eines Scheiterns -
genau dort beheimaten, wo sie sich zeigt. Ihr dort Raum geben, heißt aber
auch, sich selber als Betrachter Zeit zu lassen. Daß ich zwischen den
Farbschichten die Spielräume entdecke für meine eigenen Gedankenspiele.
Ich kann diese Wildnis der Kunst, d.h. Ihre Mehrdeutigkeit nicht zivilisieren
durch ein eindeutiges Ausrichten auf Sinn hin. Kunst kann nur versinnbildlicht
werden, indem ich mich auf die materielle Sperrigkeit des Werkes selbst ein-
lasse durch ein Verweilen. Die beschleunigten Zeitparameter und die
Globalisierung von Welt in unserer heutigen Alltagskultur sind da zu schnell
geworden für diese Erkenntnis.
Kunst kann nicht gemacht werden. Sie zeigt sich. Sie kann deshalb auch nicht
bewohnbar gemacht werden. Doch sie ist begehbar. Und wenn ich dann so
nebenbei und ohne Absicht sogar das Fremde in mir selbst entdecken kann,
dann hat diese Metapher einer „Bewohnbarkeit“ ihren Sinn gefunden. Im
immer wieder neuem Eigensinn ihrer Manifestationen.
Diese Besonderheit ist sinnlich greifbar gerade in ihrer u-topischen Ausrichtung.
Es gibt keinen ausgewiesenen Weg dorthin. Keine Topologie. Unauffindbar in
„Google-Map“. Was bleibt ist die Geste. „Mein Haus ist dein Haus“ ist noch
heutzutage ein gängiger Begrüßungs-Ritus im Orient. Aber man weiß: Das ist
nicht wörtlich zu nehmen. Was bleibt, ist die Einladung, eine mir unbekannte
Welt zu betreten und sie mir zu eigen zu machen als ein unverhoffte Wendung.
Wo immer das hinführen mag.
So gebiert die Kunst eine eigene Form im Sinne von Heimat. Bewohnbar                                                          gemacht werden kann sie dennoch nicht.

Randnotizen Januar 2023

In diesen Zeiten der politischen Schlagzeilen ist es gerade als
Künstler angebracht, das Wort zu erheben und Bilder zu beschwören.
Dabei geht es nicht um "Politische Kunst", sondern um die Radikale,
Bilder, Worte und Taten von ihrer Wirksamkeit her in die Resonanz
einer menschenwürdigen Existenz zu stellen.
Was ein Zulassen von Fragilität und Vorläufigkeit mit einschliesst.
Die aktuellen Krisengebiete umfassen eine Liste, deren Anfang und Ende
im stetigem Wandel sind, was die Betroffenheit im Einzelfall nicht
ungeschehen macht.
Das folgende Gedicht wurde von mir vor einigen Jahren geschrieben, als
von den aktuellen Krisengebieten noch nicht die Rede war.
Und dennoch provoziert es die Frage nach einem (noch) utopischen
Miteinander als Geste, ohne dass ein fataler Wiederholungszwang uns
die Luft zum Atmen nimmt.
Wir alle sind aufgerufen. Es geht uns etwas an. Wie auch immer eine
Antwort gegeben sein könnte. Von Mensch zu Mensch - diesem
durchaus fragwürdigen Tier.
Sarajevo – oder: Ich beginne ein Bild zu malen
In Sarajevo leben Menschen
in Sarajevo sterbeb Menschen
Auch bei uns lebt man
und stirbt man irgendwann
sagt mein Nachbar
Aber in Sarajevo
sage ich
leben bis heute
Menschen
die für uns
schon gestorben sind
Mein Nachbar
im Vorgarten
hinter seinem Zaun
schaltet den Rasenmäher ein
Du musst lauter sprechen
ruft er mir zu
Ich schweige
Mein Nachbar mäht seinen Rasen
auf kürzeste Länge
Ich beginne ein Bild zu malen
Ich werde es "Sarajevo" nennen.

Randnotizen November 2022

"Der Zufall und die Kunst, oder: was einem so zufällt,
wenn es um Kunst geht in unseren Lebensbezügen."
Vor kurzem bekam ich ein Buch in die Hand des Philosophen Markus
Gabriel mit dem Titel: " Apropo eine Tüte Milch. Gegenstände der Kunst
und solche der Philosophie ".
Und heute entdeckte ich in den täglichen Zeitungsnotizen die Ankündigung
einer Podiumsdiskussion: " Was ist Kunst? ". Teilnehmer auch hier ein
Philosoph und ein Kulturredakteur.
Da kommt mir schon der Gedanke: Warum nicht den Künstler selbst zu
befragen über die Bedeutsamkeit von Kunst. Es ist schließlich sein Metier.
Er muß es doch wissen.
Für ihn allerdings ist diese simple "Was ist" - Frage allzu sperrig, so daß der
Künstler als erster auf den Unterschied von Sinn und Bedeutung hinweisen
sollte.
Wie es übrigens schon der Mathematiker Gottlieb Frege 1892 in seiner kleinen
Schrift "Über Sinn und Bedeutung" anging. Daß derselbe Gegenstand auf zwei
unterschiedliche Arten gegeben ist.
Einmal als Bezugsgegenstand, wo er sich auf eine allgemeine Definition bezieht.
So hat nach Frege der Morgenstern und der Abendstern als Bezugsgegenstand
die Venus. Dennoch bleibt diese Venus auf zwei gänzlich unterschiedliche Weise
sinnlich gegeben: als Morgenstern und als Abendstern.
Und als Künstler meine ich, daß jedes neue Kunstwerk den allgemeinen Gegen-
stand der Kunst infrage stellt, allein in der Art seines Gegebenseins als
sinnlich vorliegende Materialität.
Inwieweit sich also Kunst einer auslesbaren Welt des Begreifens verweigert, indem
sie sich als Werk immer wieder neu und anders zeigt, um so mehr nistet sie sich ein
in die Zwischenräume der Worte und Töne und in die Leerstellen der ausgemalten
Bilder. Irritierend auf fundamentale Weise. Es bleibt immer ein Rest, der nicht
ausgedeutet, sondern nur angedeutet werden kann.
Kunst ist ein Resteverwerter von Lebensbezügen unserer erlebbaren Welt.
Und noch immer steht da im Titel der Schrift von Markus Gabriel diese Tüte Milch.
Ein rein philosophisches Denken kann sie als Gegenstand nur begrenzt, d.h. per
Eingrenzung verwerten. Für die Kunst ist diese Tüte Milch als Werk nie abschließend
gegeben, sondern aufgegeben als das eine und dann wieder als das ganz andere.
Der Sinn der Sinne ist gefragt und nicht eine vorschnelle Deutungshoheit allgemeiner Begrifflichkeit. Eher ein Zulassen-können als eine Zugrifflichkeit.
Und immer ist jedes Kunstwerk dem Material verfallen. dem materiellen Verfall.
Sicher ist das Kunstwerk einer Idee entsprungen. Es emanzipiert sich aber im Vollzug
in die sinnliche Differenzen, um sein Einzigartigkeit zu bewahren.
Und schließt so den Betrachter mit ein. Der Betrachter, der eingeladen ist, vor dem
Werk zu verweilen.  Ausgeschlossen von einer gesetzten Bedeutung, aber eingebunden in einer Sinnsuche.
Alles andere wird sich zeigen.
Oder wie Adorno eimal bemerkte:
" Der Schein der Kunst ist ihr Anteil an der Wahrheit".
Vielleicht bleibt mir gerade dieser Satz in Erinnerung, weil er einer Kunst des
Philosophierens am nächsten kommt, wo am Ende der Stolperstein einer Aporie
übrig bleibt bei so viel Denken. Ganz im Sinne und mit den Sinnen der Kunst zum gefälligen Gebrauch.

P.S.
Und gerade in der Adventszeit wünsche ich uns dieses Aufscheinen einer fragilen
Flamme als Lichtzauber für eine Verheißung, die unserer Vergänglichkeit
Rechnung trägt ganz nah bei uns noch vor dem Religions-Dogma eines ewigen Lichtes als auch einem allzu weltlichen Neonlicht ohne Schatten.

Einer zuviel , oder: " Y un barco alla te espera, siempre ..." ( Octavio Paz)

Blick mir

nur einmal
in die Augen
hör den Klang meiner
Worte
spür meinen Atem
denn
ich bin
einer der 20
die aufbrechen
um Heimat neu
zu buchstabieren
ich bin
einer der 100
die das morsche Boot
besteigen
um Leben
neu zu wagen
ich bin
einer der 1000
auf den unmarkierten Wegen
nach Norden
ich bin
einer der Unzähligen
die vor deiner Mauer
stehen
und in den Ritzen ihre Träüme
verstecken
für bessere Zeiten
Man sagt mir
ich sei
1 zuviel
Einer zuviel
einer
zu wenig
wer rechnet das durch?
Hör meine verstummende
Worte
bevor du mich vergißt
und du
nur noch die Mauer hast
hinter dem Fenster
deines Hauses
dazu
vieleicht noch
ein Stück Himmel
jedoch
ohne Vogelflug
Wie
willst du dich
da wiederfinden
ohne das Fremde
was ich dir
schenken wollte
und du im
Spiegel
immer nur
dich selber siehst
Erblindet.

Hinter den Bildern

Der Theaterregisseur Dimitri Gotschaff sagte einmal in einem
Interview: "Die Probe ist meine Heimat ... "
Und wie auf der Probebühne Körper und Text in einem
spielerischen Wagnis aufeinander treffe ohne aesthetische
Überhöhung, so sehe ich auch meine Atelier-Situation als
bildender Künstler.
Wo ich lerne, dass zum Künstlertum zu allererst ein Scheitern
gehört. Das sich Einlassen auf ein mögliches Scheitern.
Und dazwischen dann plötzlich auch ein Gelingen.
So ist jedes gelungene Bild auch Erinnerung an das, wodurch
es geworden ist und ist zugleich die Mauer, die Hürde, die es
erneut zu überwinden gilt hin zu den (noch) ungemalten Bildern.
An Vernissagen-Orten werde ich deshalb stets unruhig. Zu weit
weg von allem. Zu viel "Dies da" und nichts anderes.
Dann aber doch:
Sehe ich in jedem fertigen Bild auch eine Art Verdichtung. Ein
Atemholen. Dieser Augen-Blick. Zwischen dem was war, und
dem, was noch kommen mag. Und wo wir anfangs vom Körper
gesprochen haben: Wenn Heiner Müller in "Nachtschicht" von
seinem Gehirn als " eine Narbe" spricht, so ist auch jedes Bild
eine Narbenspur. Eine Narbenspur mondwärts. Wo man nicht
aufhört, sich selbst zu suchen.
Und was bleibt?
Vielleicht nur ein stummer Schrei.
Irgendwo zwischen Erinnerung und Vergessen.
November 2013

Zu: „Erotik, oder: die Kunst des Fleisches“; Eine kleine Geschichte vom Fleisch.

Es gibt eine Geschichte des Science-Fiction Autors Terry
Bisson, wo Außerirdische mit ihrem Raumschiff die Erde ent-
decken und einen Kundschafter losschicken, der sich über die
merkwürdigen Lebewesen dort unten informieren soll. Als er
schließlich von seiner Mission zurück kehrt, entwickelt sich
folgender Dialog zwischen Kundschafter und Kommandant
des Raumschiffes, den ich verkürzt so wiedergebe:
- Woraus bestehen denn nun diese Lebewesen der Erde?
- Sie bestehen aus Fleisch. Da gibt es keinen Zweifel.
- Und woher kamen die Funksignale?
- Von Maschinen
- Ja, und wer hat dann die Maschinen gebaut?
- Fleisch hat die Maschinen gebaut
- Das ist doch lächerlich. Womöglich soll ich auch noch an
"Fühlendes Fleisch" glauben. Ich glaube eher, das ist eine
Intelligenz auf Kohlenstoff-Basis, die nur ein vorübergehendes
Fleischstadium durchmacht und sich dann wieder erholt.
- Nein, sie werden aus Fleisch geboren und sterben als Fleisch
- Aber wer erledigt dann das Denken?
- Das Fleisch. Denkendes Fleisch.
- Ich soll wirklich an denkendes Fleisch glauben?
- Ja. Denkendes, fühlendes, träumendes, liebendes Fleisch.
- Das ist total irrational. Diese nutzlosen Lebewesen.
Laßt uns von hier verschwinden, ehe dieses Fleisch uns ent-
deckt und noch anfängt, uns zu mögen.
Soweit Terry Bisson. Die Geschichte könnte dann so zu Ende
erzählt werden:
Und das Raumschiff entfernte sich wieder von der Erde, an einer
Seite der Titan-Außenhaut allerdings mit noch feuchter Sprüh-
farbe. Hatte es ein irdischer Graffitti-Künstler es doch tatsächlich
geschafft, den Außerirdischen unbemerkt noch eine letzte
Botschaft mitzugeben. In knallroter Signalfarbe war da zu lesen:
"If too perfekt, Gott wird böse.....!" (Zitat nach N.J.Paik)
Und die Moral von der Geschichte?
Nun, wenn wir dem zustimmen, dass wir wirklich (aus) Fleisch
sind, dann bleiben nur zwei Alternativen, wie wir uns selbst dazu
stellen. Entweder wir empfinden das Fleisch wie der Kommandant
des Raumschiffes als eine Obzönität, als eine Beleidigung des
reinen Geistes, oder wir erkennen darin unsere eigene Blöße, der
wir uns stellen müssen. indem wir uns bloßstellen in all unserer
Fragilität und unserem irdischen Gestammel. Zu allererst uns selbst
gegenüber.
Selbst dann wäre es aber auch zu kurz gedacht, darin nur eine
ethische und religiöse Dimension zu entdecken. Sinnliche Teilhabe,
ein Identifizieren durch gelebte Identifikation, das alles führt
letztlich zu einer “aisthesis”, zu einer “Wahr”nehmung, die das
Verhältnis von Mensch und Welt immer wieder in anderen
Facetten aufscheinen lässt.
Ein Leben auf der Stufe des “Fleisches” erschien den Außer-
irdischen auf ihrem rein geistigen Level als zu obzön. Noch
ungläubiger hätten sie allerdings auf unsere Behauptung reagiert,
dass nur durch diesen Umweg über das “Fleisch” so etwas wie                                                                

 “Erotik” zu einem Schlüsselwort werden kann, um zu einem Reich
von neuen Erfahrungen und Erkenntnissen zu gelangen, und dass
gerade auch Kunst es immer wieder vermag, diesen Spannungs-
bogen auszuhalten und mit ihren Mitteln zu skizzieren.
Für uns bleibt zu fragen, ob wir selbst in unserer Alltagswirklichkeit
auch immer den Mut haben, uns dieser Magie zu öffnen.
Nicht von ungefähr wird unsere heutige Gesellschaft beschrieben
als Warengesellschaft, wo der Mensch auf seine Funktion als
reaktive Zelle in einem modernen Produktions- und Konsumprozess
reduziert ist. Wo seine Existenz sich erschöpft als bloßer
Funktionsträger wirtschaftlicher Akkumulationsprozesse.
Eine Provokation mit der Wahl des diesjährigen Themas des
Kunstkaufhauses “Die Kunst des Fleisches” , denke ich mir, ist von
daher durchaus gewollt. Auch als “Provokation” ( = “An-Spruch”)
an die teilnehmenden Künstler, wobei ich allerdings nur mit meiner
eigenen Deutung des Themas sprechen kann. Immerhin steht es
den Besuchern dieser Gemeinschafts-Ausstellung frei, sich rechts
und links umzusehen, um doch vielleicht vor dem einen Werk
stehen bleiben zu müssen, von dem sie nicht mehr lassen können
– sie gehen einen Schritt vor, dann wieder zurück, umrunden
das Bild, dann wagen sie sich ganz nah heran, wollen es fast anfassen,
es berühren, ein durchaus menschlicher Reflex, tief in uns verwurzelt,
was ja nichts anderes meint als “erotisches Begehren”.
Und die Faszination ist: das Bild malt sich nie ganz aus. Es bleibt immer
ein Rest, eine Wildnis. Und wir beginnen diesen Traum mitzuträumen.
Den Traum von der Wildnis. Letztlich geht es um Leben und Tod in
einem einzigen Augen-Blick.
Hier nun schließt sich der Kreis. Kunst lebt von der Erotik.
Die Erotik ist eine Kunst.
Und in allem scheint noch immer das durch, was die
Außerirdischen in unserer Geschichte abfällig “Fleisch” nannten. Aber
nicht ohne tieferen Grund ist die tiefste unserer Erkenntnisse, wenn
uns “etwas unter die Haut” geht.
Angerührt zu sein durch ein Berührt-werden.
In der Religion ist das die Heilsgeschichte der Inkarnation. Wobei
die Kirche jahrhunderte lang mit ihrem eigenen Mißverständnis
zu kämpfen hatte, Inkarnation als Weg der “Erlösung vom Fleisch”
und nicht im eigentlich christlichen Sinne als “Erlösung im Fleisch”
zu verstehen und zu verkünden.
Auch die Wissenschaft in ihrer Fortschrittsgläubigkeit traut dem
Menschen immer weniger zu, sich die Welt zu eigen zu machen
mit seinen natürlichen Instinkten und Reaktionen. So wird z.B.
die Autonomie menschlicher Sinneserkenntnis immer mehr
durch technische Assistenzsysteme unterlaufen, die aber auch
nur ihre eigenen Fehlerspeicher gleich mit anbieten.
Zudem: das Versprechen einer “punktgenauen Navigation” ist
nicht gerade das, was man sich vorstellt, wenn man an
Erotik denkt. Im Gegenteil.
Hier ist überbordende Phantasie gefragt. Eine Zugabe ins
noch Ungewisse. Der wissenschaftliche Begriff “erogene
Zonen” klingt da eher nach den Koordinaten einer
Wetterkarte, die noch nie mit dem Regen draussen in
Berührung gekommen ist.
Das gemeinsame Schicksal von Eros und Kunst:
Sich immer wieder neu zu erfinden in eine Ungewissheit hinein,
in ein Nicht-Wissen, wodurch uns jenoch eine Erkenntnis zuteil
wird als innere Gewißheit, die viel eher dazu taugt, sich mit dem
zu versöhnen, was die Außerirdischen in unserer Geschichte
als so obzön empfinden:
Denkendes,fühlendes, träumendes, liebendes Fleisch.
Wolfgang Henze
Zu: „Erotik, oder: die Kunst des Fleisches“
Kunst-und Ausstellungshalle Siegburg, 2012
Oktober 2012

Eine Nach-Frage, oder: und da gibt es doch noch die Kunst....

Und so machte ich mich dann auf, einfach so, mit dieser Frage
nach der Kunst. Aber ich sage gleich: Außer Spesen nichts
gewesen! Erst viel später wurde mir klar, dass in dieser Erfahrung
vielleicht gerade die Antwort verborgen lag, nach der ich gesucht hatte.
Hier doch zunächst eine Art Protokoll dieser Nachfrage:
- „Guten Tag. Ich komme mit der Frage nach der Kunst.“
- „Oh, da kommen Sie zu spät.  Da waren schon vor ihnen welche
da mit der gleichen Frage.“
- „Und was haben Sie denen gesagt?“
- „Sie kommen zu spät, habe ich schon denen gesagt.“
-„Ach so, vielen Dank auch."
Nächster Versuch an einer anderen Tür:
- „Guten Tag, was halten Sie von der Kunst?“
- „Kann ich mir nichts für kaufen. Nur leere Versprechungen.“
- „Wie bei diesen Leerverkäufen im Börsengeschäft?“
- „Nein, das mit den Leerverkäufen ist eine Kunst für sich.“
- „<Für sich> oder <An und für sich>?“
- „Na, hören Sie mal, <An und für sich> ist keine Kunst, sondern Betrug.“
- „Also, ich verstehe das jetzt so, was Sie sagen: Die Kunst, die nur
was <Für sich> hat, ist Kunst, aber <An und für sich> genommen
ist sie nur Betrug und Täuschung?“
- „Ja, wenn das mit der Kunst so wie mit den Leerverkäufen ist.“
- „Warum das?“
- „Weil die sagen, da ist was, und an und für sich ist da gar nichts.“
- „Nun gut. Aber was ist, wenn die sich selbst täuschen, und da ist
wirklich was?“
- „Nein, nein. So viel Täuschung auf einmal, das wäre dann eine
wirkliche Kunst. Auch <An und für sich>.“
Aber weiter im Text. Nächster Versuch:
- „Hallo, ich komme mit der Frage nach der Kunst.“
-„Legen Sie alles vor die Tür. Ich hol es dann später ab."
Oder auch:
- „Da kann ich ihnen nicht helfen, ich bin fremd hier. Aber halt, ehe
Sie wieder gehen, haben Sie irgendwo meine Katze gesehen?“
-„Weiß ich nicht so genau. Da muss ich `drüber nachdenken...“
Und genau da fing es an zu regnen. Und ich wusste, ich hatte keinen
Schirm mit genommen, und als ich wirklich nass wurde, beschloss
ich für`s erste, diese Befragung zu beenden.
War auch vielleicht nicht so klug, dieses Nachfragen nach der Kunst,
gestehe ich jetzt ein, wo ich doch selber Kunst mache und meine
eigene Nachfrage habe. So, jetzt ist es `raus. Ich mache Kunst.
Doch die Probleme sind damit nicht weniger, sondern nur andere.
Dazu nur ein Beispiel:
Ich habe mich irgendwann dazu entschlossen, mir Visitenkarten
drucken zu lassen. Nicht etwa aus Eitelkeit, sondern aus ganz
pragmatischen Gründen. Wenn dann auf einer meiner Vernissagen
all zu viele Besucher mit Fragen kommen, wie das denn so ist mit
meiner Kunst und so, dann kann ich meine Visitenkarte
überreichen mit dem Standardsatz:
<Da steht alles drauf, was Sie wissen müssen. Name, was ich mache,
Telefonnummer, E-Mail und sogar Web-Site mit weiteren Erläuterungen.
Danke sehr, es war nett, Sie getroffen zu haben> - oder so ähnlich.
Auf jeden Fall: Ein Satz nur, und ich hätte meine Ruhe. Gute Idee.
Doch dann kam ich in`s Grübeln. Mit meinem Namen, das war klar.
Der blieb der gleiche, mit oder ohne Kunst. Aber dann: Was war ich nun:
"Künstler"?
Nun ja, dachte ich. Künstler ist man nur immer im Nachhinein.
Das haben andere zu entscheiden. Also vielleicht nur:
"Bildermacher"?
Nun, das klang mir ein wenig nach <Liedermacher> und erinnerte
mich zu sehr an verflossene Zeiten. Auch klang da so etwas an wie
"Regenmacher". Nein, das war nicht so gut. Aber dann vielleicht:
"Bildender Künstler"?
Im <Bund Bildender Künstler> war ich ja schon. Aber das mit dem
<Bildend> kam mir dann etwas zu aufgesetzt vor in seiner
schillernden Mehrdeutigkeit. Was blieb also? Ich kam auf:
"Freie Kunst"
Na, wie klang das? Nein, dachte ich mir, zu viel Freiheit ist auch
nicht gut, erst recht nicht für die Kunst. Und ich konnte das Ganze ja
schlecht "Notwendige Kunst" nennen. Weiter also. Und wenn ich
einfach das "Frei" weg lasse? Und schreibe nur:
"Kunst" - und dann Punkt.
Einfach so. Das gefiel mir zunächst. Doch
dann kamen mir auch hier Zweifel. Dieser Punkt, der hat ja
zunächst etwas Endgültiges. Er setzt eine Art Pause. Aber er
setzt auch darauf, dass da doch noch etwas kommen könnte,
so wie bei einem längeren Luft holen, und dann geht`s weiter.
Und man überlegt schon: Ja, was könnte da kommen?
"Kunst---dünger","Kunst---stoff","Kunst---stopfen"?
Ganz schlimm wäre es aber, wenn ich z.B. sagen müsste:
"Ich mache in Kunst".
Ich bitte Euch. Das klingt wie "Ich mache in Fleisch", und dann
kommt gleich die Frage: Ja, was bist du dann, Schweinebauer oder Zuhälter?
Eins blieb noch, nur so als Vorschlag:
"Malerei"
Nein. Das liegt zu unglücklich zwischen "Molkerei" und "Spinnerei".
Dann kam mir eine Idee. Ich hatte `mal gehört wie einer zum
anderen sagte: Beruflich? Na, ja, ich bin bei "Bayer".Und ich
hatte den Eindruck, dass das so ohne weitere Nachfragen
hingenommen wurde. Denn ohne Zögern kam gleich die
nächste Frage: "Und wie hat der "FC" gespielt?
Also könnte ich ja zunächst einmal mündlich einfach so
sagen "Ich bin bei der Kunst gelandet". Aber ich sehe schon,
eine Lösung ist das auch nicht. Womöglich sagt dann der
Nächste:"Hast dich wohl in der Richtung vertan. War wohl eher
eine Notlandung". Brechen wir hier ab. Mitten in der Not, sozusagen.
Weitere Vorschläge von Euch bitte an meine noch nicht
existierende E-Mail Adresse senden, danke.
Und so bleibt es erst einmal dabei, dass bei der nächsten
Vernissage wieder das Bild da an der Wand hängt, und ich selbst
stehe da mit einem Glas Sekt in der Hand an der nächsten Säule.
Etwas Abstand zum Bild muss immerhin sein, um den Blick nicht
zu verstellen, und dennoch kommt jemand geradewegs auf mich
zu. "Bist du das, sind das deine Bilder?" Ich gucke erst nach rechts,
dann nach links. Es ist jedoch gerade kein anderer da, dem ich die
Schuld für das Ganze hier zuschieben könnte. Und dann kommt
meine Standard-Antwort: "Nee, das ist mein Freund, der ist gerade
auf der Damentoilette". Und noch während ich den Gast unschuldig
anblicke, kann ich sehen, wie diese Information in ihm eine noch
größere Irritation auslöst und er darüber zu vergessen scheint, was
er ursprünglich zu fragen hatte. Wir sind wieder auf Augenhöhe. Er
neigt seinen Kopf und fragt zweifelnd: "Und, wie ist er so, dieser
Freund als Künstler?" Ich spiele mit und sage leise: Na, ja. Etwas
komisch ist der schon". "Ich hab es gewusst", kommt die Antwort.
Er dreht sich um, ein kurzer Blick noch auf die Bilder und dann sehe
ich ihn auch schon nicht mehr. Und ich hütet mich ihm nach zu rufen,
du da, du wolltest doch noch etwas fragen...!
Hier könnte ich nun einen Schlusspunkt setzen. Doch meine Gedanken
sind mir inzwischen weit voraus. Eine weitere Geschichte also noch,
wie das mit der Kunst so ist und die geht so:
Es kommt bei meiner Kunst als Materialkunst öfter vor, dass sich
etwas vom Bild löst und herunterfällt, einfach so. "Einfach so" stimmt
nicht ganz, denn ursächlich liegt das daran, dass mein rein technisches
Geschick, ein Bild vom Material her auch "fest" zu machen, noch weit
dem hinter her hinkt, was man so allgemein "Freie Gestaltung"
nennt. Zweierlei Arten von Fragilität sozusagen. Die Fragilität der
künstlerischen Aussage und die Fragilität der Materialbeschaffenheit
und ihrer Verbindung. Im Atelier selbst ist das noch kein Problem.
Aber wenn dann gerade auf einer Ausstellung nicht mehr alles an der
Wand hängt, sondern dies oder das vom Bild schließlich auch davor
auf dem Boden anzutreffen ist, komme ich regelmäßig in
Erklärungsnot. Wenigstens eine Zeit lang war das so. Inzwischen
habe ich das Problem gelöst. Sprachtechnisch, wenn man so will.
Also, noch einmal. Es ist Vernissage-Tag. Ich wie üblich
an meiner wohl bekannten Säule. Eine Besucherin meint plötzlich
zu wissen: "Da ist gerade was vom Bild herunter gefallen!"
Ich gucke hin, nun gut, da liegt wirklich `was vom Bild herum. Ich
dreh mich hin zu der Frau und sage mit fester Stimme - Anmerkung:
auf eine andere Festigkeit als die meiner Stimme kann ich mich
ja nicht mehr berufen, wie wir alle wissen - ich sage also lapidar:
"Das muss so sein". Und insgeheim danke ich der Kunst, dass sie
mir in ihrem Großmut, den sie von Natur aus hat, auch hier ein
Schlupfloch hatte anbieten können."Dann ist ja gut", höre ich noch
als Antwort. Und plötzlich begriff ich das mit der Kunst. Etwas fällt
ab, oder auch nicht. Aber alles ist so, wie es ist. Ich hatte es
begriffen. Und dazu noch so nebenbei in diesem einen Satz die
gesamte Philosophie-Geschichte. Und auch noch etwas
Zen-Buddhismus gratis dazu. Und jetzt brauchte ich auch
nicht mehr von Tür zu Tür zu laufen, um nach der Kunst zu fragen.
Ich konnte endlich zurück in mein Atelier zu meinen Bildern.
Eins war jedenfalls klar, mir war auf einmal nicht mehr wichtig. ob
die "Kunst" frei war, oder auch nicht. Ich war auf einmal selbst
befreit. So sehr befreit, dass ich nun auch hier endgültig einen
Punkt setzen kann.
Mit vielen Grüßen, euer Wolfgang Henze.
P.S. Und wer es unbedingt wissen will: Ja, ich mache Bilder.
Und die Bilder erzählen meine Geschichte.
Oder ich erzähle auch manchmal die Geschichte meiner Bilder.
Und die Kunst hilft dabei. Meinen Bildern und mir.
Denn ihr einziger Anspruch ist, wie wir gelernt haben, ihr "Lassen-Können".
So, und jetzt raus hier, ich habe zu tun.
Januar 2012